Slow Living mit Familie, Waldkindergarten

Einmal unter freiem Sternenhimmel schlafen

Wenn du an deine Kindheit zurück denkst, welche Erinnerungen kommen dir als erstes in den Sinn?

Klar gibt es auch unsere Superhelden, die unsere Kindheit begleitet haben – nicht umsonst, bin ich heute die größte Pokémontrainerin der Welt und so stark wie Son Goku.

Aber die prägnantesten Erinnerungen sind die, als ich mit meinen Freunden und Freundinnen draußen in der Nachbarschaft gespielt habe. Wir haben zahlreiche Hütten im Wald gebaut. Unsere Kräfte gemessen. Oder geguckt, wer schneller laufen kann.

Wir haben, während die dicken Tropfen des Sommerregens auf uns geprasselt sind, in den Pfützen getobt und es hat uns keineswegs gestört, dass wir nass werden.

Es war reizvoll sich die eigenen Stöcke fürs Stockbrot zu schnitzen, welches abends über dem knisternden Lagerfeuer gebacken wurden.

Unsere Familienausflüge gingen meist in die Eifel – auf jeden Fall raus in die Natur. Und immer, wenn der Weg an einem Bach vorbei geführt hat, haben mein Stiefbruder und ich stundenlang vergnügt damit verbracht Staudämme zu bauen.

In meiner frühen Jugend habe ich auf einer Ferienfreizeit eine dreitäge Kanutour auf der Ardèche gemacht – wirklich eine der eindrucksvollsten Erinnerungen aus meiner Kindheit! Nicht nur, dass meine Freundin und ich als Zweierteam in topform waren! Wir hatten wirklich viel Spaß auf dem teils recht wilden Fluss. Nein, das Highlight war mit so wenig Dingen auszukommen, die in das kleine wasserdichte Fass aufs Kanu passten, unter freiem Himmel zu kochen und zu schlafen.

Wir haben zwei Nächte mitten in der Natur am Ufer des Flusses ohne Zelt unter dem klaren Sternenhimmel geschlafen. Ihr glaubt nicht, wie viele Sterne und Sternschnuppen wir gesehen haben! Zudem hatten wir Glück, dass es die Tage trocken war und die Sommernächte so warm waren, dass es ohne schützendes Zelt angenehm war. In der größeren Gruppe fühlten wir uns sicher und konnten bei den Geräuschen der Natur, die einem ja sonst doch weniger auffallen, wunderbar einschlafen.

Warum ich das berichte?

Weil Kinder echte Erfahrungen brauchen – in der heutigen Gesellschaft mehr, denn je!

Und weil in heutigen Familien der Terminplaner immer voll scheint. Wir hetzen von einem Termin zum anderen und wollen unsere Kinder bestmöglichst fördern und ihnen alles bieten, was wir ermöglichen können. Klavier- oder Reitunterricht, Fußball, musikalische Förderung und evtl. Nachhilfe. Das sind bei weitem keine schlechten Angebote und es ist großartig, wenn es unseren Kindern Spaß macht.

Aber was Kinder vor allem brauchen ist ihre Kindheit. Zeit zum Spielen, alleine oder mit Freunden. Zeit zum Entdecken, Zeit mit uns, Zeit zum Kuscheln und sogar zum Langweiligen, denn Langeweile regt unsere Kreativität und Problemlösungsstrategien an.

Kinder brauchen bedingungslose Liebe, Geborgenheit und Zeit.

Unser Umgang miteinander und unsere gemeinsamen Erlebnisse prägen ihr gesamtes Leben.

Was sie brauchen, nein, was wir als Familie brauchen, ist weniger Termindruck und Zeug, das uns unterhält, und mehr echte Erfahrungen, die wir aktiv gemeinsam sammeln und als wertvolle Erinnerungen abspeichern.

Denn erlebte Sinneserfahrungen verknüpfen sich ganz anders in unserem Gehirn, als sekundäre Lernerfahrungen über den Bildschirm.

An der Stelle möchte ich übrigens Medien auf keinen Fall verteufeln, schließlich sitzen die meisten von uns auch mal gerne vor dem Fernseher. Aber wir sollten sie, ähnlich wie Süßigkeiten, als ergänzenden Genuss bewusst konsumieren.

Soweit so gut.

Doch was verstehen wir unter der Bezeichnung »Slow Parenting« eigentlich?

Was können wir uns darunter vorstellen?

Slow Parenting ist eine Erziehungsphilosophie, die darauf abzielt, das Leben von Kindern und Eltern zu entschleunigen, um mehr Qualität, Achtsamkeit und Freude in den Alltag zu bringen. Im Gegensatz zum hektischen, überorganisierten Lebensstil, den viele Familien heute führen, betont Slow Parenting die Bedeutung von freier Spielzeit, weniger strukturierten Aktivitäten und einer stärkeren Verbindung zur Natur und zueinander.

Einerseits lebt Slow Parenting von viel Zeit, Flexibilität und Spontanität, andererseits aber auch von Struktur, die uns hilft Entscheidungen zu treffen und Prioritäten zu setzen. Denn eine gewisse Struktur gibt dem Alltag einen groben Rahmen, der uns zugute kommt nicht von seinen Aufgaben ungeahnt überrollt zu werden und unseren Kindern Orientierung, Halt und Sicherheit vermittelt. Gerade in einer Gruppierung mehrerer Menschen, also auch einer Familie, reduziert eine gewisse, vorhersehbare Struktur erheblich den Stress.

Gestresste Eltern können keinen fruchtbaren Boden für die Familie gründen, da sie selber so mit sich und dem Stress am hadern sind, dass sie kaum Geduld und Energie für die Anliegen ihre Kinder übrig haben. Selbst die bemühtesten Eltern, rutschen in stressigen Situationen zurück in alte, ungewollte Erziehungsmuster, die über Generationen hinweg weitergegeben wurden und tief in uns sitzen. Das ist keine Verurteilung. Sondern es passiert jedem. Wirklich jedem!

Das Bewusstsein darüber und die Achtsamkeit es jedes Mal ein kleines Stückchen besser zu machen, sind entscheidend für ein solides Fundament unserer Bindung zu unseren Kindern. Und eine wesentliche Komponente besteht darin, dass wir als Eltern auf uns und unsere Ressourcen Acht geben und unseren Stress minimieren, um für einen ausreichenden Puffer an Geduld und Feinfühligkeit zu sorgen.

Ein sogenanntes »Slow Life mit Familie«, »Slow Family« oder eben auch »Slow Parenting« bedeutet eben die bewusste Reduzierung von unnötigen Zeitfressern und Belastungen, was teils auch Mut erfordert, weil es ein Stück weit Abgrenzung von all den vielen Ablenkungsmöglichkeiten bedeutet, die sich in der Gesellschaft etabliert haben. Gleichzeitig ist ein Slow Life mit Kindern total flexibel in der Ausgestaltung und kein radikales Konzept, das irgendwelche Vorgaben oder Regeln befolgt.

Hauptprinzipien und Beispiele für Slow Parenting:

 

1. Entschleunigung

Dazu zählen:

  • Weniger geplante Aktivitäten: Statt den Tagesablauf mit zahlreichen außerschulischen Aktivitäten zu überladen, könnt ihr euch mehr freie Zeit für spontane und kreative Beschäftigungen lassen.
  • Langsamkeit zulassen: Nehmt euch Zeit für alltägliche Aufgaben wie gemeinsames Kochen, Spaziergänge oder das Erledigen von Hausarbeiten, ohne ständig auf die Uhr zu schauen.

 

2. Freies Spiel

Dazu zählen:

  • Unstrukturierte Spielzeit: Also Kindern erlauben, selbstständig und ohne vorgegebene Struktur zu spielen. Abgesehen vom Spaß, der Unbefangenheit und Leichtigkeit des freien Spiels fördert es ihre Kreativität und Findung eigener Problemlösungsstrategien.
  • Naturerlebnisse: Gerade in unserer heutigen Gesellschaft sollten wir unsere Kinder motivieren, draußen zu spielen und die Natur zu erkunden, was ihre physische und emotionale Entwicklung unterstützt. Die meisten Kinder, die ich kenne, lieben es bereits von sich aus Zeit draußen zu verbringen. Sie lassen sich auch weniger von Wind und Wetter abschrecken, als wir Erwachsenen.

 

3. Achtsamkeit und Präsenz

Dazu zählen:

  • Bewusste Zeit miteinander: Leg die elektronische Geräte zur Seite, wenn du sie gerade nicht aktiv für etwas bestimmtes brauchst und konzentrier dich voll und ganz auf dein Kind und eure gemeinsamen Aktivitäten. Das müssen keine besonderen Angebote sein, sondern bezieh dein Kind in die Gestaltung des Familienalltags aktiv mit ein und lass es altersgemäß mitentscheiden.
    Ein schon oft genanntes Stichwort, das mehr Achtsamkeit und Präsenz zusammenfasst, lautet Singletasking, statt Multitasking. Somit widmest du deine volle Aufmerksamkeit einer Tätigkeit und machst deine Sache gut, statt viele Dinge halbherzig nebeneinander zu erledigen.
  • Zuhören: Das gilt auch fürs Zuhören. Leg das Handy beiseite und konzentrier dich auf dein Gegenüber. Hör deinem Kind aufmerksam zu, nimm sein Anliegen ernst und vermittel ihm, dass seine Gedanken und Gefühle wichtig sind. Widmest du jemandem deine volle Aufmerksamkeit, zeigt das der Person gegenüber viel Wertschätzung.

4. Einfachheit

Dazu zählen:

  • Weniger Spielsachen: Hole deinem Kind lieber ausgewählte und vielseitige Spielsachen aus möglichst nachhaltigen Materialien. Natürlich werden aber je nach Alter auch verschiedene Merchandise-Produkte, die es meist nur in quitschbuntem Plastik gibt, interessant.
    Ich bin kein Fan davon, solche dem Kind komplett vorzuenthalten. Aber sie sollten meiner Meinung nach bedacht und in Maßen gekauft werden – dann bleiben die Nachbildungen ihrer Helden auch etwas besonderes. Entsprechend lohnt es sich hier mit dem Kind über bestimmte Wünsche zu sprechen, sie zu priorisieren und gezielt zu schenken, statt die Kinder mit einer großen Masse an Spielsachen zu überhäufen.
  • Minimalismus: Um mehr Einfachheit ins Leben zu bringen, bietet sich entsprechend auch die Auseinandersetzung mit dem Minimalismus an. Dazu braucht es keinen radikalen Lebenswandel in dem du dich von all deinen Besitztümern trennen musst.
    Statt dessen geht es darum, ein einfacheres, weniger überladenes Lebensumfeld zu schaffen, das weniger Ablenkung und mehr Fokus auf das Wesentliche ermöglicht. Schau dich hierzu auch gerne auf  meinem Blog oder meinem YouTube-Kanal um, falls du mehr zu dem Thema erfahren möchtest.

 

5. Förderung der Unabhängigkeit

Dazu zählen:

  • Selbständigkeit: Du darfst dich trauen deinem Kind Raum zu geben, um selbstständig Aufgaben zu erledigen und Probleme zu lösen, was sein Selbstvertrauen und seine Fähigkeiten stärkt. Falls du hierzu Impulse oder weiteren Input brauchst, kann ich dir sehr die Auseinandersetzung mit der Montessori-Pädagogik ans Herz legen.
  • Verantwortung: Du kannst deinem Kind altersgerechte Verantwortung übertragen, wie das Pflegen eines kleinen Gartens, das Füttern eines Haustieres oder das Vorbereiten einer Mahlzeit – auch hier bietet sich z.B. wieder das gemeinsame Kochen an, wobei dem Kind zugetraut wird die Gurke für den Gurkensalat zu schneiden.

6. Erlebnisse statt Dinge

Dazu zählen:

  • Gemeinsame Erlebnisse: plant mit zunehmendem Alter eurer Aktivitäten und Ausflüge gemeinsam, um wertvolle Erinnerungen zu schaffen und die Interessen und Bedürfnisse aller Familienmitglieder (abwechselnd) zu berücksichtigen. Beispiele sind Wandern, Schwimmen gehen, Museumsbesuche oder gemeinsames Backen.
  • Nachhaltige Geschenke: Dazu zählt auch, dass du statt materielle Geschenke gemeinsame Erlebnisse, wie etwa Ausflüge oder einen Konzertbesuch verschenkst oder gemeinsame Projekte, wie beispielsweise einen gemeinsamen Töpferkurs, wenn ihr immer schonmal Töpfern lernen wolltet.
    Falls du etwas zum Verschenken in der Hand halten möchtest, eigenen sich auch wunderbar selbstgemachte Geschenke. Du könntest gemeinsam mit deinem Kind selbstgemachte Geschenke herstellen, die ihr zu Weihnachten an eure weiteren Familienmitglieder oder Freunde verschenkt. Wenn dein Kind dann auch noch die selbstgemachten Geschenke überreichen darf, wird es umso stolzer darauf sein, denn es ist etwas, das es selbst geschaffen hat.

 

7. Verbindung zur Natur

Dazu zählen:

  • Outdoor-Aktivitäten: Regelmäßig Zeit im Freien verbringen, sei es durch Wandern, Camping oder einfaches Spielen im Park.
  • Allgemeines Naturbewusstsein: Also Kindern die Bedeutung der Natur und Umwelt beibringen und durch den hergestellten Bezug zur Natur ein nachhaltiges Verhalten fördern.

 

8. Kulturelle und kreative Aktivitäten

Dazu zählen:

  • Kreativität fördern: Kreativität hilft Kindern ihre Perspektive zu erweitern und Problemlösungsstrategien in ihrem Leben zu entwickeln. Dazu braucht es kein großes Tamtam, sondern du kannst ganz einfach Basteln, Malen, Bauen, Konstruieren, Musizieren und andere kreative Aktivitäten in euren Alltag integrieren.
  • Kulturelle Bildung: Gemeinsame Besuche von Museen, Theatern oder Konzerten, um das kulturelle Bewusstsein der Kinder zu erweitern.

Fazit

Unsere Zeit ist begrenzt. Alles ist endlich. Und unser Tag hat nur 24 Stunden.

Statt diese mit möglichst viel Produktivität vollzustopfen, sollten wir sie weise nutzen und einen Schritt zurück gehen. Was zählt am Ende des Tages, in 10 Jahren oder gar nach unserem Leben wirklich?

Wer sein (Familien-)Leben entschleunigen möchte, der muss erstmal die ganzen lästigen Zeit- und Energiefresser im Alltag entlarven und eliminieren. Das räumliche Ausmisten, also Loswerden von materiellem Überfluss und Ballast ist dabei nur der erste Schritt, der jedoch schon viel Klarheit bringt und Zeit für die Pflege und Instandhaltung der Dinge freiräumt.

Viel schwieriger ist es sich mit seinen eingeschlichenen Gewohnheiten zu beschäftigen und zu hinterfragen, welche langfristig zu einem positiven oder negativen Ergebnis führen. Denn eines ist klar: egal was wir tun, es hat immer eine Auswirkung.

Falls dich das Thema Gewohnheiten und wie du sie einfach und nachhaltig einführen aber auch loswerden kannst, interessiert, verlinke ich dir hier ein Video von mir dazu.

Unsere Gewohnheiten sitzen tief in unserem Verhalten, betreffen aber auch unsere Haltung, unsere eigenen Erwartungen, unsere Glaubenssätze und am allermeisten unseren Anspruch an uns selbst alles schaffen zu wollen.

Slow Parenting ist eine bewusste Entscheidung, das Leben von Kindern und Eltern zu entschleunigen und zu vereinfachen, um so mehr Achtsamkeit, Freude und Qualität in den Familienalltag zu bringen. Es fördert eine engere Bindung innerhalb der Familie, unterstützt die ganzheitliche Entwicklung der Kinder und schafft eine ausgeglichenere und harmonischere Familienatmosphäre.

Nun haben die Punkte das Thema Slow Parenting oder auch Slow Family nur kurz angeschnitten, um das Prinzip einmal vorzustellen. Jedoch werde ich das Thema auf meinem Blog und meinem YouTube Kanal @GrowWithLess zukünftig immer weiter ausbauen.

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