Kleine Gesten, große Wirkung – Ein Bilderbuch, das die Familie stärkt
Es ist 7:12 Uhr, in 18 Minuten beginnt meine Arbeit, und im Flur herrscht absolute Gelassenheit – zumindest bei meinen Kindern, die keinerlei Anstalten machen, ihre Schuhe anzuziehen, damit wir endlich zur Kita fahren können. Dabei habe ich heute Morgen alles gegeben: Sie um sechs Uhr liebevoll geweckt, ihren Liebestank mit Kuscheln und warmer Milch gefüllt und geduldig ihre Wünsche beim Fertigmachen respektiert – ganz nach dem Bindungslehrbuch. Doch je näher die Abfahrt rückte, desto mehr spürte ich, wie meine innere Unruhe wuchs. Wir sind mal wieder spät dran, und obwohl ich mich so bemüht habe, kommt von meinen Kindern: »Nö!«. BAM! Und da steht er – der Schimpf-Automat, dampfend und bereit, Druck auszuüben.
Wie wir solche Momente der Überforderung und Hilflosigkeit mit unseren Kindern wertschätzend aufarbeiten und Verantwortung für unsere Gefühlsausbrüche übernehmen können, beleuchtet der Filmemacher und Autor Domenik Schuster in seinem Bilderbuch Liebe, Wut & Milchzähne. Das Buch ist 2024 in Anlehnung an seinen gleichnamigen Dokumentarfilm über seine Marke Good Enough Parents erschienen. Die Illustratorin Katharina Piorkowski ergänzt die Geschichte mit ihren lebendigen und einfühlsamen Zeichnungen, die dem ernsten Thema eine lockere, zugängliche Note verleihen. Ein Buch, das gleichermaßen Kinder und Eltern anspricht – und ein echtes Muss für alle, die sich in turbulenten Familienmomenten wiedererkennen.
»Für alle Kinder, die Schimpf-Automaten kennen,
und für alle Eltern, die den Mut haben,
sich bei ihren Kindern zu entschuldigen.«
Und plötzlich dampft und zischt es
Luca liebt seine Familie über alles – doch manchmal wundert er sich über die merkwürdigen Ideen und Prioritäten der Erwachsenen. Mit viel Charme lädt dieses Bilderbuch dazu ein, den turbulenten Familienalltag aus einer humorvollen, aber auch nachdenklichen Perspektive zu betrachten.
Schon zu Beginn lernt man die Figuren durch liebevoll gestaltete Steckbriefe kennen, die ihre Eigenheiten humorvoll präsentieren und direkt eine Verbindung zu den Leser:innen aufbauen. Der kreative Einsatz von Text und Bild erzeugt dabei eine lebendige Dynamik: Wörter schlängeln sich durch die Illustrationen, springen oder schrumpfen, während Luca durch das Wohnzimmer tobt – mitten im Zahnbürsten-Hindernislauf, den sein Vater mit der Idee des Zähneputzens während der Bastelzeit ausgelöst hat.
Das Buch schildert typische Alltagssituationen, die jedes Kind und jedes Elternteil wiedererkennen wird: Papa hat es eilig, die Zeit drängt, und doch ist Luca mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Was folgt, kennen wir alle: Der Geduldsfaden reißt und der Schimpf-Automat springt an – eine Situation, die weder Eltern noch Kinder mögen, und die oft mit einem Gefühl der Reue endet.
Auf eine wunderbar kindgerechte Weise spricht das Buch dabei sowohl die kleinen Leser:innen als auch die Vorlesenden an. So schildern Kinder auf einer Seite verschiedene Alltagssituationen, in denen ihre Eltern zu Schimpf-Automaten werden. In diesem Moment fragt Luca seine jungen Leser:innen direkt: »Schimpfen eure Eltern eigentlich auch?« Diese Frage regt zu einem ehrlichen und offenen Austausch zwischen den vorlesenden Erwachsenen und den Kindern an – und das in einer entspannten, konfliktfreien Atmosphäre. Gerade diese ruhige Atmosphäre bietet den perfekten Rahmen, um das Thema anzusprechen – sie kann viel mehr bewirken als ein Gespräch inmitten eines hitzigen Konflikts.
Außerdem werden im Buch subtil wichtige Botschaften vermittelt, die Eltern das Gefühl geben, nicht allein zu sein und gleichzeitig Erleichterung bringen. So heißt es zum Beispiel: »Müde Familien brauchen wache Unterstützung.« Diese Worte regen dazu an, nach Wegen zu suchen, wie Eltern in belastenden Momenten Entspannung finden können – und, dass sie auch Hilfe annehmen dürfen – um dann mit aufgeladener Batterie und einer wertschätzenden Haltung mit ihren Kindern ins Gespräch zu gehen. Anstatt Perfektion zu fordern, ermutigt das Buch dazu, Konflikte respektvoll nachzubesprechen, Fehler einzugestehen und sich aufrichtig zu entschuldigen. Luca erlebt, wie sein Vater Verantwortung für sein Verhalten übernimmt und nach Lösungen sucht, die die Situation für alle angenehmer machen. Dieses Vorgehen stärkt die Bindung zwischen Eltern und Kindern und zeigt ihnen, dass sie bedingungslos geliebt und respektiert werden.
Am Ende des Buchs richtet sich Domenik Schuster direkt an die Eltern. Er teilt offen die Intention hinter seinem Werk: Eltern dürfen menschlich sein. Unsere Reaktionen sind nicht immer perfekt, doch entscheidend ist, wie wir danach mit unseren Kindern umgehen. Indem wir Verantwortung übernehmen und Kindern das Gefühl von Schuld und Scham nehmen, zeigen wir ihnen, dass Bindung auch durch Konflikte hindurch bestehen bleibt.
Fazit
Liebe, Wut & Milchzähne ist ein Bilderbuch, das mit viel Herz und Humor die Höhen und Tiefen des Familienalltags einfängt. Domenik Schuster zeigt, wie wichtig es ist, sich selbst als Eltern und auch seinen Kindern gegenüber Fehler einzugestehen und Konflikte in Ruhe nachzubesprechen. Es geht darum, den Kindern zu vermitteln, dass sie auch in schwierigen Momenten bedingungslos geliebt werden – unabhängig davon, ob Erwachsene Fehler machen oder starke Gefühlsausbrüche haben. Das Buch erinnert uns daran, dass Kinder nicht für diese Gefühle verantwortlich sind und dass sie immer wertvoll und geliebt sind.
Dabei regt das Buch sowohl Kinder als auch Eltern zum Nachdenken an und öffnet den Raum für einen offenen Austausch. Ein wertvoller Begleiter für Familien, die ihre Bindung vertiefen und gemeinsam wachsen möchten – und eine wunderbare Ergänzung zu Schusters bisherigen Arbeiten.
Buchinformationen
Titel: Liebe, Wut & Milchzähne
Text: Domenik Schuster
Illustration: Katharina Piorkowski
Verlag: Good Enough Parents
Genre: Bilderbuch, Umgang mit Gefühlen und Konflikten in der Familie
Altersempfehlung: ab 3 Jahren
Seitenanzahl: Hardcover, 36 Seiten